MODE, die leben HILFT …
Diversity ist in Mode. Doch wie divers entwirft die Modeindustrie tatsächlich? Es ist heutzutage einfacher, einen Mantel für den Mops zu finden, als einen Strampler für ein Baby mit Stoma … Wo ist die Mode, wenn man sie braucht?! Ein junges Start-up aus Berlin will Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen endlich würdevoll einkleiden. Die adaptive Kleidung von Wombly soll ganz ohne das Reha-Image auskommen, welches noch immer an ihr haftet.
Lina Phyllis Falkner, Lena Förster und Jana Walther über die Herausforderungen, die ein so besonderes Unternehmen mit sich bringt, ihre Zukunftspläne und darüber, warum Wombly ein echter Inklusions-Booster sein kann …
„Am Ende geht es doch darum, Raum zu schaffen für Menschen, die bisher nicht genügend Raum bekommen.“ – Ein Interview
MILAN Magazine: Oft sind es die persönlichen Bedürfnisse, die uns antreiben. Was hat euch dazu bewogen, ein Label für adaptive Kleidung zu gründen? Seid ihr selbst betroffen?
Wombly: Wir Gründerinnen sind nur indirekt betroffen – Lenas Schwester Nora gebar ein weit frühgeborenes Baby in der 27. Schwangerschaftswoche mit ca. 650 Gramm Körpergewicht. Dadurch war ihre Familie mit der Frage konfrontiert, wo man geeignete Ausstattung für so einen Winzling finden kann, – der auch noch auf medizinische Versorgung angewiesen ist. Als wir daraufhin tiefer in die Thematik recherchierten, waren wir regelrecht geschockt, wie viel Bedarf es im adaptiven Bereich gibt und wie wenig dafür angeboten wird.
Dass es die persönlichen Bedürfnisse sind, die uns antreiben, passt dennoch auf das ganze Team. Wir alle kommen aus unterschiedlichen Bereichen der Bekleidungsindustrie und waren gleichermaßen unglücklich mit den Arbeitsbedingungen. Von den zerstörerischen Aspekten dieser in jeder Hinsicht rücksichtslosen Industrie ganz zu schweigen. Aus dieser Kombination entstand der dringende Wunsch, ein eigenes Unternehmen zu gründen, das zwar Kleidung herstellt, aber eben solche, die wirklich noch gebraucht wird. Und das sowohl gute soziale Bedingungen für die Mitarbeiter:innen bietet als auch nachhaltig und ökologisch agiert.
MM: Wie wollt ihr mit Wombly den äußerst dünn besiedelten Markt für adaptive Kleidung umkrempeln?
Wombly: Wir möchten endlich eine angemessene, umfangreiche, wirklich schöne adaptive Produktpalette für verschiedenste Bedürfnisse und verschiedene Altersgruppen entwickeln. Wir möchten aber gleichzeitig auch Aufklärungsarbeit leisten und wenigstens einen kleinen Teil dazu beitragen, dass das Bewusstsein für Inklusion und Barrierefreiheit in den Köpfen der Allgemeinheit steigt. Wir wollen Menschen eine Plattform bieten, über ihre Situation und ihre Erfahrungen zu berichten, sich auszutauschen, und auf sich und ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen.
Wir hoffen, dass dadurch noch viele andere Marken entstehen werden, die nützliche Produkte und adaptive Kleidung für Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten anbieten, auch wenn das dann unsere Konkurrenz sein wird. Am Ende geht es doch darum, Raum zu schaffen für Menschen, die bisher nicht genügend Raum bekommen.
MM: Letztendlich muss sich eure Mode im Alltag bewähren. Worin liegen die Herausforderungen, für Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu entwerfen?
Wombly: Eine große Herausforderung ist es, sich in die Alltagsabläufe und somit die schnitttechnischen Anforderungen all der einzelnen Bedürfnisgruppen reinzudenken. Hier sind wir auf die enge Zusammenarbeit mit Betroffenen angewiesen.
Eine weitere Herausforderung ist die faire Preisbildung. Wenn ein Baby oder Kind eine Erkrankung hat oder bekommt, muss eines der Elternteile oft längere Zeit beruflich kürzertreten, die Familie muss mit weniger Einkommen auskommen. Unsere Produkte sind aus ökologischen Stoffen fair in Europa gefertigt, das hat in der Produktion natürlich seinen Preis – dadurch können wir uns mit H&M-Preisen niemals messen. Um dieses Problem anzugehen, bieten wir zum einen die Verleihplattform an. Zum anderen möchten wir versuchen, für bestimmte Produkte die Bezuschussung durch das Jugendamt oder die Krankenkassen zu erreichen.
MM: Nicht nur der praktische Aspekt ist euch ein Anliegen. Warum ist Wombly auch aus sozialer Sicht wegweisend?
Wombly: Das ist völlig richtig, unsere adaptive Kleidung soll nicht nur praktisch sein, sondern auch das Selbstbewusstsein der Kinder und der Eltern stärken. Und zwar mit einem Look, der einerseits die medizinische Versorgung in den Hintergrund rücken lässt (weil er sie a) erleichtert und b) kaschiert), und der andererseits so selbstbewusst und schön ist, dass man eher beneidet als bemitleidet wird. Das klingt erst mal seltsam, aber das ist ein Punkt, den wir so oft von betroffenen Eltern lesen und hören: Man möchte kein Mitleid. Wieso auch: Man führt ein ganz normales Leben mit einem zauberhaften Kind, und das hat seine Herausforderungen, – aber das hat das Leben mit jedem Kind.
Um auch einkommensschwächeren Haushalten die Wombly-Produkte zu ermöglichen, bauen wir eine Verleihplattform in unseren Onlineshop ein im Stile von Räubersachen.de. Dort kann man dann beispielsweise einen Winterschlafsack, der ca. 80€ kosten würde, für 12€ pro Monat leihen und zahlt dann nur 24 – 36€ für die Zeit, die man ihn braucht.
Nicht zuletzt möchten wir beim Onboarding darauf achten, dass unser Team so divers und inklusiv wie möglich wird. Die Arbeitsbedingungen in unserem Unternehmen sollen den neuen, richtungsweisenden Ansprüchen genügen, die junge Unternehmer:innen zurzeit vormachen. Zum Beispiel: auch verantwortungsvolle Posten mit der Option auf Jobsharing anzubieten, um auch Frauen (oder Männern) mit kleinen Kindern solche Positionen zu ermöglichen. Oder Menschen mit Behinderungen zu normalen Löhnen einzustellen, statt zu sogenannten „Grund-Beträgen“.
MM: Am Thema Nachhaltigkeit kommt heute kein Start-up mehr vorbei: Wie sustainable ist Wombly?
Wombly: Wir produzieren industrielle Produkte und haben damit natürlich auch einen Fußabdruck. Das möchten wir auch nicht leugnen. Aber der Weg ist das Ziel und wir glauben daran, dass viele kleine Entscheidungen einen großen Unterschied machen. Und dass Industrie und Konsument:innen gemeinsam einen langen, steinigen Weg hin zu viel mehr Nachhaltigkeit gehen müssen. Unsere Stoffe und auch die Trimmings sind selbstverständlich alle öko-zertifiziert. Wir möchten die Wege so kurz wie möglich halten, deshalb produzieren wir nur in Europa, im Moment in Deutschland und Polen. Bei den Trimmings versuchen wir, auf recycelte Materialien zu achten. Durch unsere Verleihplattform wollen wir Deadstock vermeiden – nicht verkaufte Produkte würden wir sowieso niemals vernichten. Falls wir Teile langfristig nicht verkaufen, werden wir sie an Krankenhäuser und Vereine spenden. Dass unser Büro von Anfang an so nachhaltig wie möglich agiert, ist selbstverständlich, von recyceltem Papier und Versandmaterial über Ökostrom und nachhaltige Geschäftskonten hin zur Vermeidung von Flugreisen und Co., wo es eben geht.
MM: Wie möchtet ihr Wombly weiter ausbauen? Wird es in Zukunft auch adaptive Kleidung für Erwachsene geben?
Wombly: Das ist unser Plan, ja. Wir möchten sukzessiv die Bedürfnis- und Altersgruppen erweitern. Der erste Schritt wird sein, im Kleinkindbereich Teile für weitere Gruppen anzubieten. Danach soll eine Teenager-Palette folgen. In der dritten Phase sind Sub-Linien für Erwachsene geplant. In allen Bereichen der adaptiven Kleidung gibt es noch viel Bedarf und wir freuen uns sehr auf die Herausforderungen, die das gestalterisch, schnitttechnisch und logistisch mit sich bringen wird. Es ist viel spannender, spezielle Träger:innenbedürfnisse in die Gestaltung mit einzubringen, als immer nur die nächste trendbewusste Jacke oder Bluse zu entwerfen.
MM: Und zu guter Letzt: Warum seid ihr das perfekte Team für euer Start-up? Wie ergänzt ihr euch gegenseitig?
Wombly: Lena ist das Produktions- und Koordinationsgenie, Lina das Gestaltungs- und Kommunikationsgenie und Jana das Genie der Schnittmacherei (und das ist schon ohne adaptive Ansprüche ein hoher Titel). Spaß beiseite – mit diesen drei Kompetenzbereichen und der hochgeschätzten Unterstützung unserer Angels aus den Bereichen Medizin, Jura, Consulting und aus der Start-up-Szene fühlen wir uns sehr gut aufgestellt.
MM: Vielen Dank für die sehr interessanten Insights!
In einer Welt, in der Diversity zwar propagiert, aber an der Realität vorbei designt wird, sind Changemaker wie Lina, Lena und Jana eine echte Bereicherung für die normversessene Modeindustrie. Wer die Womblys bei ihrem Crowdfunding unterstützen möchte: Hier geht es zur Startnext-Kampagne. Auf der Wombly Website kann man die erste Kollektion des Berliner Start-ups vorbestellen.
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