FASHION MADE FAIR, Who made my clothes?
fashion made fair / Rhabarber, Rhabarber … Im Vorfrühling, wenn die übrige Vegetation noch ruht, schieben sich aus dem Wurzelstock des Rheum rhabarberum seidenglatte Blattstiele von rötlich-grünem Glanz. Es entwickelt sich ein langgestielter Horst mit großen gelappten Blättern …
Ja, er ist die Avantgarde im Garten, der Rhabarber. Mit seiner feinen und doch auftrumpfenden Säure, mit seinem Vitamingehalt weckt er uns aus dem Winterschlaf, lässt uns die Lethargie der lichtarmen Zeit abschütteln. Für einen vergleichbaren Anschub sorgt der Vorreiter aus dem Küchengarten auch in der Mode. Aus Rhabarber, genauer aus der Rhabarberwurzel, wird ein pflanzlicher Gerbstoff für Leder gewonnen. Das ergibt ein geschmeidiges, atmungsaktives Ausgangsmaterial für Bekleidung, Taschen, Schuhe und Accessoires. Und den Endprodukten haftet ein zarter Duft nach Rhabarber an.
In ihrem Buch FASHION MADE FAIR haben die Journalistin Ellen Köhrer und die Modedesignerin Magdalena Schaffrin über die Geschichte um das Rhabarber-Leder, entwickelt von Anne-Christin Bansleben, berichtet. Die Wissenschaftlerin und Designerin hat ihre eigene Erfindung in das Label Deepmello übersetzt – eins von 33 Labels aus Europa, den USA, Neuseeland und Bangladesh, die im Buch vorgestellt werden. Jedes Label setzt auf seine eigene Weise an jedem Punkt der Produktionskette die Prinzipien der Nachhaltigkeit um, dem Leitspruch verpflichtet – „Be the change you want to see in the world!“
Am 24. April ist Fashion Revolution Day!
Ellen Köhrer und Magdalena Schaffrin nehmen den Leser mit auf eine Reise durch das Universum der Öko-Mode. Jedem, der jetzt dankend abwinkt, sei hiermit gesagt: Wir sind nicht mehr 1980. Umweltverträgliche Mode von heute hat keine Ähnlichkeit mehr mit den Kleidern der „Ökos“ von damals, denen der Anspruch des Weltverbesserers aus jedem Knopfloch geschaut hat. Ästhetik war Nebensache. Nirgendwo finde ich den Aufbruch, der in den letzten Jahren in der Modeindustrie stattgefunden hat, vollständiger und anschaulicher dargestellt als in dem Band FASHION MADE FAIR der Berliner Autorinnen.
Es wurde aber auch Zeit. Nicht zufällig erscheint das Buch am kommenden Montag, den 25. April. Ja, genau. Am Sonntag ist Fashion Revolution Day, der Tag, gewidmet dem Gedenken an die 1127 Todesopfer und die 2438 Verletzten, die der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch am 24. April 2013 gefordert hat. Rana Plaza – ein Name, wie ihn auch ein feines Hotel tragen könnte. Doch dahinter verbirgt sich ein baufälliger Kasten, und die „Gäste“ sind die Textilarbeiter, die Letzten in der Produktionskette der Fashion Industry und die beißen bekanntlich die Hunde. So an jenem denkwürdigen 24. April vor drei Jahren: Das Desaster kündigt sich an. Die Arbeiter bemerken, wie die Böden nachgeben, die Wände wackeln und wollen das Gebäude verlassen. Doch nichts da! Die eng getakteten Aufträge lassen keine Unterbrechung der Arbeitszeit zu. Ihren Bitten wird nicht stattgegeben …
Buy less choose well make it last …
Immer wieder kommt es zu Katastrophen, weil die Produktionsbedingungen in der Modeindustrie an sich katastrophal sind. Das Rana Plaza ragt nur wegen der bislang höchsten Opferzahlen heraus. Und die Missstände beginnen nicht erst in den Fabriken, sondern schon auf den Feldern. Man mag es kaum glauben, doch die Textilindustrie gehört erwiesenermaßen zu den umweltschädlichsten Industrien überhaupt. Der Anbau von Baumwolle, dem Textilrohstoff Nummer Eins, verbraucht Unmengen von Wasser, von chemischem Dünger und Pestiziden.
Sollen wir also zukünftig in Sack und Asche gewandet gehen? Kann man sich überhaupt mit gutem Gewissen schön anziehen? Wie können wir unser Grundbedürfnis nach einem ästhetischen Äußeren erfüllen, ohne dass dies zu Lasten der Umwelt und der Menschen in der Produktion geht? 33 Modelabels, die mehr wollen als den kurzsichtig-schnellen Profit, die Nachhaltigkeit nicht nur werbewirksam behaupten, sondern nachweislich praktizieren, haben Ellen Köhrer und Magdalena Schaffrin in ihrem Buch FASHION MADE FAIR versammelt. Fünf davon wollen wir hier kurz vorstellen:
Blütenlese aus fashion made fair
Studio Elsien Gringhuis entwirft und produziert entschieden elegante und entschieden weibliche Mode. Bei dem niederländischen Label bekommt das Wort Modelinie eine eigene Bedeutung: Da gibt es eine Grundkollektion, genannt Book, die im Sortiment verbleibt, so lange der Stoff lieferbar ist. Hinzu kommen dann saisonal einige ergänzende Styles, die Chapters. Sehr nachahmenswert. Denn wer seinen Stil gefunden hat, empfindet diese Kontinuität inmitten der hektischen Fashion Fair als wohltuend.
Der Stoff, aus dem die Kleider, Outdoormäntel und Jacken des dänischen Ausnahme-Talents Maxjenny Forslund sind, wird aus recyceltem Polyestermaterial, ja sogar aus PET-Flaschen gewonnen. Zuschnitt und Fertigung folgen bei einem Teil der Kollektion dem Zero Waste Prinzip. Alleinstellungsmerkmal der Marke Maxjenny!: hyperbunte Muster, einzigartig, weil als Non-repetitive Prints designt.
Schon im Namen Honest By erhebt der Antwerpener Designer Bruno Pieters den Anspruch, die Lieferkette für seine architektonisch klare Mode rückhaltlos offenzulegen. Auch darüber, wie der Verkaufspreis zustande kommt, wird der Kunde bei ihm umfassend informiert. Wenn die Fast Fashion-Händler behaupten, komplette Transparenz sei nicht zu schaffen, lässt das Pieters nicht gelten. Den Kunden empfiehlt er, ihre Macht zu gebrauchen und eine entsprechende Aufklärung einzufordern. Übrigens: Bei Honest by wird auf die Verarbeitung von Leder und Pelz verzichtet. Honestly Yours, liebe Vierbeiner!
Gosia Piantek aus Neuseeland entwirft klar geschnittene Kleidung aus Baumwolle zu erschwinglichen Preisen. Sämtliche Glieder in der Lieferkette für ihr eco-faires Modelabel Kowtow kann Gosia offenlegen, Transparenz vom Samenkorn bis zum fertig konfektionierten Kleidungsstück. Bis jetzt wird bei Kowtow aus Baumwollgewebe oder Baumwolljersey gefertigt. Doch nach den Plänen der wagemutigen Unternehmerin sollen künftig weitere Materialien einbezogen werden. Merinowolle vielleicht. Das liegt in Neuseeland auf der Hand.
Bekleidung für Alltag und Festtag selbst von Hand herstellen – nur im Karpatenbogen haben die vorindustriellen Web- und Stickkünste bis heute überlebt, wurden die traditionellen Handwerkstechniken nicht von der Industrialisierung hinweggefegt. Die Berliner Designerin Isabell de Hillerin kann daher an eine lebendige Textiltradition anknüpfen, wenn sie ihre Kollektionen in Rumänien fertigen lässt. Gedämpft in ihrer Farbigkeit, abstrahiert im Muster entfalten die traditionellen Elemente ihre einzigartige Ausstrahlung.
fashion made Fair! Was nun, Fashionista?
Ihr müsst heute, am Fashion Revolution Day, nicht eure Kleidung auf Links tragen. Besorgt euch lieber gleich morgen FASHION MADE FAIR von Ellen Köhrer und Magdalena Schaffrin. Das Buch erscheint in gebundener Ausgabe im renommierten Prestel Verlag, immer gut für ein bibliophiles Erlebnis. Die herausragende Qualität der 200 farbigen Abbildungen und die großzügigen Abmessungen von 24 mal 28 Zentimetern machen es zu einem Blickfang auf jedem Coffee Table. Der Preis für das 192 Seiten umfassende Buch beträgt 39,95 Euro. Ich versichere euch: Ihr werdet eine belebende Wirkung verspüren wie nach dem Genuss des ersten Frühlings-Rhabarbers.
TROUBLE UNDERSTANDING GERMAN? JUST VISIT DEEPL AND YOU’RE DONE!
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