Wie ein Kinderspiel, Das Museum wird zum Kindergarten

Kindergarten ist eines jener Wörter, die weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums ein fester Begriff geworden sind. Seitdem Friedrich Wilhelm August Fröbel 1840 den „allgemeinen deutschen Kindergarten“ ins Leben gerufen hat, findet seine Lehre großen Anklang. Besonders populär sind bis heute Fröbels Ansichten in der Spielpädagogik. Mit seinen drei „pädagogischen Grundformen“, den dreidimensionalen Formen Kugel, Walze und Würfel, hat Fröbel Elemente von Kinderspielzeug geschaffen, die bis heute an Beliebtheit nichts eingebüßt haben. Und dieses „Spielgabensystem“, nämlich die drei Grundformen und immer weitere Teilungen davon, hat keineswegs im Kinderzimmer Halt gemacht, sondern breiten Einfluss auf die Gesellschaft genommen, so dass Fröbel heute als ein wichtiger Inspirator der Kunst und Architektur der Moderne gesehen wird. Diese Inspiration ist unverkennbar in der Installation „Come un gioco da bambini“, „Wie ein Kinderspiel“, des französischen Künstlers Daniel Buren, die im Kunstmuseum MADRE in Neapel bis zum 31. August zu besichtigen ist. Das folgende Video lässt den Betrachter in die fröhlich-bunte Atmosphäre einer Kindergarten-Stadt eintauchen.

Das Spiel als Schlüssel zur Welt

Die Installation „Come un gioco da bambini“, realisiert von Daniel Buren in Zusammenarbeit mit dem Pariser Architekt Patrick Bouchain, besteht schlicht in der Herstellung eines Raums, der sich aus etwa hundert symmetrisch aufgestellten Fröbel-Geometrien zusammensetzt: Eine erste Reihe weißer Holzmodule wiederholt sich immer wieder in einem faszinierenden Kaleidoskop von funkelnden Farben: Bögen, zylindrische Türme, quadratische Sockel, dreieckige Tympani schaffen einen neuen Raum, der sich wie ein authentischer Kindergarten präsentiert und wo sich der Besucher wie in einem echten Kinderspiel fühlt.

Im Prinzip des Baukastensystems spiegelt sich die wichtige Erkenntnis Fröbels wider, dass Kinder durch das Spiel noch mehr als durch die Sprache die Welt entdecken. Das Spiel fördert nämlich grundlegende Entwicklungsfähigkeiten wie Wahrnehmung, Haptik, Konstruktion und Dekonstruktion. Die Rolle des Spiels in sämtlichen Formen des menschlichen Handelns ist zu einer zentralen Botschaft des Künstlers Buren geworden. Genauso kennzeichnend für seine Kunst ist übrigens sein unverwechselbares Markenzeichen, nämlich die hypnotischen Kreise, die durch das Wechselspiel von exakt 8,7 cm breiten schwarzweißen Streifen entstehen.

Die hypnotischen Kreise verbinden Zylinder, Würfel und Kugeln in einem harmonischen Ensemble

Die hypnotischen Kreise verbinden Zylinder, Würfel und Kugeln in einem harmonischen Ensemble

Wie ein Kinderspiel: Das Kind als anspruchsloser Künstler

Erst die Leichtigkeit des Spiels ermögliche die Enstehung wahrer Kunst – teilt uns der Künstler mit. Das Kind schaffe in natürlicher Weise komplexe Werke, ohne dabei den Anspruch zu erheben, Kunst geschaffen zu haben. Der Künstler Buren will den Besucher wieder dahin zurückführen, wo er als Kind einmal war. Er lässt ihn zunächst darüber nachgrübeln, in was für einer Welt er sich überhaupt gerade befinde. Erst allmählich setzt ein feinfühliges und konstruktives Gespräch zwischen Besucher und Architektur ein und die tiefgründige Bedeutung der Installation wird einem bewusst: Es handele sich um ein und dieselbe Realität, in welcher sich das spielende Kind im Alltag befindet – hier allerdings unter anderen Bedingungen.

Ein Kunstwerk kann zwar in den unterschiedlichsten Kontexten entstehen, auch unterscheiden wir zwischen älteren Ausdrucksformen der Architektur und neueren Produktionen, bisweilen erscheint die Botschaft des Künstlers sogar als allzu sehr eigensinnig – trotzdem lassen sich nach Buren sämtliche Äußerungsformen der Kunst stets auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen, nämlich auf die Formen eines ausgeglichenen und umfassenden „jeu d’enfant“, eines Kinderspiels – des Spiels, das der Installation ihren Namen gibt: „Come un gioco da bambini“ eben.

Der Künstler und sein Publikum auf der Suche nach dem Sinn des Formenspiels

Der Künstler und sein Publikum auf der Suche nach dem Sinn des Formenspiels

Wie ein kinderspiel: Die Rückeroberung der Leichtigkeit

Installationen wie diese von Daniel Buren lassen uns alle für gewöhnlich auf den ersten Blick staunen und erfordern von uns große Konzentration, um das ihnen zugrunde liegende Prinzip zu erkennen. Ist man der Sache erst auf den Grund gekommen, so staunt man bald darüber, wie einfach die Antwort ausfällt. „So was hätte ich auch machen können, sogar mein Kind wäre in der Lage gewesen!“ ist eine Reaktion, die man zu Recht erwartet und oft zu hören bekommt, sagt Buren.

Dieser Denkprozess vom Staunen zur Ernüchterung ist allerdings gewollt, er ist eben Sinn und Zweck der Installation selbst: Durch ihn erhält der Erwachsene die Möglichkeit, jene Einfachheit, jene Leichtigkeit wiederzugewinnen, die ihm längst abhanden gekommen ist. Und das tut er nun in einem Prozess, der eben „wie ein Kinderspiel“ abläuft. Kunst, die tief in die Realität eingreift, die mit ihr verschmilzt, ist nicht mehr abstrakt, sondern sie ist lebendige Kunst. Kunst und Realität vereinen sich im Kinderspiel. Ganz im Sinn von Friedrich Wilhelm August Fröbel.

Wie ein Kinderspiel: zurück zur ursprünglichen Leichtigkeit, zur Quelle jeder wahren Kunstform, nämlich zum Spiel

Wie ein Kinderspiel: zurück zur ursprünglichen Leichtigkeit, zur Quelle jeder wahren Kunstform, nämlich zum Spiel

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Credits: For the video: Pasquale Napolitano: direction, editing; Flaviano Esposito: shooting; Lorenzo Orlando aka Dirton: soundtrack · For the image on the top: Daniel Buren, Comme un jeu d’enfant, travail in situ, MAMCS, Strasbourg, juin 2014. Détail. Photo © DB-ADAGP Paris · For the further three images: Daniel Buren, Comme un jeu d’enfant, 2014-2015, work in situ, Courtesy Fondazione Donnaregina per le arti contemporanee, Napoli. Photo © Amedeo Benestante

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